Man sieht es ihr alles nicht an. Nicht die Rückenprobleme, nicht die Schmerzen in den Händen und erst recht nicht ihre 83 Jahre. Seit ihrer Operation sitzt Christa Gerasch wieder mindestens einmal die Woche im großen Saal der Suppenküche und hilft. Sie hilft beim Eier pulen, beim Obst schnippeln, beim Stullen schmieren, sie bereitet das Mittagessen vor, hilft bei der Essensausgabe und hat ein Auge darauf, dass alle miteinander klarkommen.
Sie würde gerne noch mehr tun. Doch immer öfter erinnert ihr Körper sie daran, dass die Energiereserven begrenzt sind – dass das Alter sich langsam in ihren Alltag schleicht. Von der Arbeit hält es Christa trotzdem nicht ab. Denn die Gemeinschaft in der Suppenküche ist seit 27 Jahren fester Bestandteil ihres Lebens.
Als sie in den 1990er-Jahren anfing, in der Suppenküche der Franziskaner in Berlin-Pankow auszuhelfen, steckte das Projekt noch in den Kinderschuhen. Das Essen wurde im Freien ausgegeben, es gab lediglich einen kleinen überdachten Bereich, wo die Gäste zur kälteren Jahreszeit versorgt wurden. „Vieles hat sich über die Jahre verändert“, erzählt Christa, während sie sich an den modernen Glasbau lehnt, der in vergangenen Jahren entstanden ist. Aber sie fühlt sich noch immer genauso wohl wie am ersten Tag.
(Bilder von Gudrun Senger)
Ein Grund dafür, dass sie damals als Helferin begann, war pragmatischer Natur. Es war der etwas überraschende Eintritt in den Vorruhestand, der ihr als ältere Mitarbeitende bei der Bahn angeboten wurde. „Ich wollte die Zeit, die ich plötzlich hatte, ausfüllen“, sagt sie, und vielleicht war auch etwas Neugier im Spiel. Als ostdeutsche Frau war Christa zuvor kaum mit Obdachlosen in Kontakt gekommen, das Konzept Suppenküche war ihr fremd. Ausschlaggebend war letztlich aber ein Schicksalsschlag, der sie in die Suppenküche führte. Eine persönliche Erfahrung, die sie für die Bedürfnisse von Menschen sensibilisiert hat, die Aufmerksamkeit und Zuwendung brauchen.
Sie spricht mit gedämpfter Stimme, wenn sie von der schweren Krankheit ihrer Tochter erzählt. Davon, dass sie 1981 eine abenteuerliche Reise von Ostberlin zu einer Spezialklinik in New York zusammen unternahmen. Dass sie sie bis zu ihrem Tod gepflegt hat. „Meine Tochter hat ihr Schicksal mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit hingenommen“, sagt Christa. Doch wenn man sie auf die eigene Resilienz anspricht, klingt ihre forsche Natur gleich wieder durch. „Ich bin irgendwie in die Situation reingewachsen“, wiegelt sie ab. Und vielleicht hilft es, die eigene Leistung etwas runterzuspielen, um das Erlebte zu verarbeiten.
Mit ihrem liebevoll energischen Wesen manövriert Christa sich auch durch lange Tage in der Suppenküche. Knüpft Verbindung zwischen den oft schwierigen Erfahrungen der Gäste und ihrer eigenen Biografie. Über die Jahre sind ihr die Menschen, die hier ein und aus gehen, ans Herz gewachsen. „Meine Einstellung zum Leben auf der Straße hat sich deutlich verändert“, sagt sie. Mittlerweile passiert es, dass sie auf dem Pankower Marktplatz angehalten wird, weil ein Suppenküchengast dort Akkordeon spielt und ihr ein Lied widmet. „In solchen Momenten spürt man die Nähe, die durch die jahrelange Arbeit entstanden ist.“ Zwar überlegt Christa, ob sie als Suppenküchenälteste nicht langsam einer jüngeren Generation von Helfenden Platz machen sollte. Aber auch die würde vermutlich kaum auf Christa verzichten wollen.
Haben Sie selbst Interesse an einem ehrenamtlichen Dienst für die Menschen am Rand der Gesellschaft in Berlin? Schreiben Sie an Herrn Backhaus, erreichbar unter suppenkueche@franziskaner.de und teilen Sie gerne bereits etwas zu Ihrer Motivation mit und zu den zeitlichen Möglichkeiten, mit denen Sie uns unterstützen könnten.